Gerichtliche Zuständigkeit im Handelsvertreterrecht und Europa

Die Frage, welches Gericht für einen verfolgten Anspruch zuständig ist, besitzt bei Streitigkeiten zwischen Unternehmer und Handelsvertreter eine Wichtigkeit, die aus prozesstaktischen Gründen kaum zu unterschätzen ist. Anderslautenden Auffassungen zum Trotz kann es für die Parteien einen erheblichen Unterschied bedeuten, ob ihre Angelegenheit von einer, mit Kündigungsverfahren weitestgehend ausgelasteten Kammer eines Arbeitsgerichts oder einer auf wirtschaftsrechtliche Sachverhalte ausgerichteten Kammer eines Landgerichts behandelt wird.

Resultat unserer langjährigen Praxiserfahrung ist unter anderem eine spezielle Sammlung von Entscheidungen zu Problemen der gerichtlichen Zuständigkeit bei Streitigkeiten aus dem Handelsvertreterrecht.

Ausgangspunkt jeder Prüfung ist, wie der Vertrag zwischen Unternehmer rechtlich ausgestaltet ist und tatsächlich „gelebt“ wird; hinzu treten weitere Voraussetzungen etwa nach § 92a HGB bzw. 5 Abs. 3 ArbGG. Die Urteilspraxis der Gerichte ist, ebenso wie die denkbar unterschiedliche Ausgestaltung von Vertragsverhältnissen, vielfältig. Schließlich erfordert der Streit um das richtige Gericht immer mehr einen Blick auf europarechtliche Regelungen, denn grenzüberschreitend praktizierter Vertrieb verlässt regelmäßig den Anwendungsbereich nationaler Normen.

Ein instruktives Beispiel bietet eine aktuelle Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 20.10.2015, 9 AZR 525/14), die die Frage gerichtlicher Zuständigkeit bei grenzüberschreitenden Sachverhalten behandelt, wobei der eigentliche Streit der Parteien dieses Problem nicht sofort erkennen lässt.

Die Beklagte des benannten Verfahrens war ein in Polen ansässiger Vertrieb, für den der Kläger (fast ausschließlich) in Deutschland tätig gewesen ist. Dieser begehrte von der Beklagten für die mittlerweile beendete Vertragslaufzeit die Abgeltung verwehrten Urlaubs, was in Betracht zu ziehen ist, wenn die Parteien durch einen Arbeitsvertrag miteinander verbunden gewesen wären.

Auf den Prüfungsweg des Gerichts (namentlich Art. 18 Abs.1 EuGVVO in Verbindung mit Art. 45 AEUV, dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, der seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon am 1. Dezember 2009 gilt) und die tatsächlichen Umstände der Vertragsbeziehung, die heranzuziehen sind, um anhand des Parteivortrages zu prüfen und zu bewerten, ob ein „individueller Arbeitsvertrag“ vorliegt, soll an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden – wohl aber auf die sich ergebende Konsequenz.

Das Bundesarbeitsgericht kam zum Ergebnis, dass kein „individueller Arbeitsvertrag“ vorliegt und der Kläger seine Tätigkeit als Selbständiger erbringt. Hierdurch verschloss sich für den Kläger die Möglichkeit, eine Klage gegen seinen früheren Vertragspartner an seinem Wohnsitz in Deutschland zu erheben, wie dies nach Art. 21 EuGVVO möglich wäre. Überdies konnte nun eine zwischen den Parteien vereinbarte Gerichtsstandvereinbarung Wirkung entfalten, nach der das für die Beklagte zuständige Gericht über künftige Rechtsstreitigkeiten zwischen den Parteien entscheiden soll.

Im Ergebnis wurde hiernach in letzter Instanz die beim Arbeitsgericht seines Wohnsitzes erhobene Klage des Handelsvertreters als unzulässig abgewiesen, obgleich ein Blick in die Prozesshistorie zeigt, dass ein anderes Ergebnis nicht allzu fern lag. Doch der klagende Handelsvertreter kam einer Aufforderung des Berufungsgerichts nicht nach, zwei E-Mails des Unternehmens an ihn in deutscher Übersetzung vorzulegen. Womöglich hätte der Inhalt dieser E-Mails zu einer anderen Bewertung des Vertragsverhältnisses und damit einer anderen gerichtlichen Entscheidung geführt.

Mitgeteilt von: Jens Bühner, Rechtsanwalt LL.M.Eur.
11.04.2016

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